Interview mit dem Regionaldirektor der Päpstlichen Mission für Palästina
Seit vielen Jahren arbeitet der Schweizerische Heiligland-Verein (SHLV) mit der Päpstlichen Mission für Palästina (PMP) in Ostjerusalem zusammen. Andreas Baumeister hat den Regionaldirektor der PMP, Joseph Hazboun, gefragt, wie die aktuelle Lage in den besetzten palästinensischen Gebieten ist, wie das medizinische Notfallprogramm für Menschen in Bethlehem angelaufen ist, das der SHLV unterstützt, und welche Hilfe jetzt am dringendsten ist.
«Dauerhafte Sicherheit setzt einen gerechten Frieden voraus»
Joseph Hazboun, wie ist die aktuelle politische Lage im Westjordanland?
Die Situation dort ist katastrophal. Die Koalition von Premierminister Benjamin Netanjahu mit rechtsextremen Parteien lässt die Gewalt im Westjordanland gegen Palästinenserinnen und Palästinenser immer weiter eskalieren. Siedler greifen Bauern an, blockieren den Zugang zum Ackerland und bauen die illegalen Siedlungen aus. Pläne zur Annexion des Westjordanlandes drohen die Palästinensische Autonomiebehörde aufzulösen. Israel hat bereits die Arbeitsgenehmigungen in Israel gestoppt und die palästinensischen Arbeiter durch ausländische Arbeitskräfte ersetzt.

Und in Ostjerusalem?
In Ostjerusalem hat Israel die Verbindungen zum Westjordanland gekappt und bringt so eine Generation von «Jerusalemern» hervor, die von der palästinensischen Identität abgekoppelt sind.
Wie wirkt sich der Gazakrieg in diesen Gebieten aus?
Der Gazakrieg hat die Wirtschaft in Bethlehem, der Heimat der meisten palästinensischen Christinnen und Christen, lahmgelegt. Da der Tourismus eingebrochen ist und die Arbeitsgenehmigungen widerrufen wurden, haben die Familien seit 18 Monaten kein Einkommen mehr. Schulen, medizinische Einrichtungen und Spitäler haben zu kämpfen, da sich Patientinnen und Studierende diese Dienste nicht leisten können.
Welche Auswirkungen hat die Einstellung von USAID unter der Trump-Administration auf Ihre Arbeit?
Der Rückzug von USAID hat keine direkten Auswirkungen auf PMP, aber er schadet den lokalen Partnern, die Palästinenserinnen und Palästinenser unterstützen. Die grössere Herausforderung für uns ist die Umleitung der europäischen Mittel für die Unterstützung in der Ukraine, weshalb die Entwicklungsgelder gekürzt werden. Wir beten für ein Ende der Kriege in der Ukraine, im Sudan und in Gaza.
Welche Art von Hilfe brauchen die Menschen in den besetzten palästinensischen Gebieten jetzt am dringendsten?
Benötigt werden Arbeitsplätze, Geld für Arbeit, medizinische Hilfe und Unterstützung beim Wiederaufbau von Häusern. Entscheidend ist, dass der Krieg beendet wird, der Tourismus wieder aufgenommen wird und sich die Wirtschaft erholt.
Viele Christinnen und Christen verlassen Palästina. Wohin gehen sie?
Ungefähr 140 Familien haben Palästina seit Beginn des Gazakriegs verlassen, hauptsächlich um zu Verwandten in den USA, Kanada, Australien und Schweden zu ziehen.
Erzählen Sie uns vom medizinischen Notfallprogramm in Bethlehem, das vom SHLV unterstützt wird.
Da die öffentliche Gesundheitsversorgung begrenzt ist und die Familien seit 18 Monaten kein Einkommen mehr haben, können sie sich die medizinische Versorgung nur schwer leisten – manche verkaufen Wertgegenstände, um die Kosten zu decken. Das PMP-Programm, das auch von Ihren Spenderinnen und Spendern finanziert wird, leistet wichtige medizinische Hilfe. Es wird dringend noch mehr Unterstützung benötigt.
Gibt es auch Lichtblicke in dieser düsteren Lage?
Während der dunkelsten Tage in Gaza organisierte Frau Hiyam Hayek vom Zentrum «Spark for Innovation and Creativity» Aktivitäten für vertriebene Kinder. Ihr Lächeln – trotz des Traumas – war unbezahlbar.

Welche Hoffnung haben Sie für die Zukunft Palästinas?
Ich hoffe, dass Israel erkennt, dass dauerhafte Sicherheit einen gerechten Frieden voraussetzt – einen Frieden, der den Palästinenserinnen und Palästinensern Würde und Freiheit gewährt. Ich träume von einem freien Gazastreifen, einem geeinten palästinensischen Staat und einer blühenden christlichen Gemeinschaft im Heiligen Land, die die Auferstehung Christi dort erlebt, wo sie tatsächlich stattgefunden hat.
Andreas Baumeister