Interview – Pater Georges Aboud über die aktuelle Lage in Syrien
«Wir brauchen geistliche Solidarität und finanzielle Unterstützung»
Pater Georges Aboud, viele Jahre in Damaskus tätig und mit unserem Partner Bischof Nicolas Antiba in Damaskus verbunden, besuchte im Oktober auf Einladung des Hilfswerks Kirche in Not verschiedene Pfarreien in der Deutschschweiz. Lucia Wicki-Rensch, Medienbeauftragte von Kirche in Not, führte im Auftrag des Schweizerischen Heiligland-Vereins dieses Interview.
Pater Georges, wie ist die aktuelle politische Situation der Christinnen und Christen in Syrien?
Pater Georges Die Situation der Christinnen und Christen ist unverändert. Die Kurden kontrollieren immer noch den nordöstlichen Teil von Syrien an der Grenze zum Irak, wo auch die Amerikaner eine Militärbasis haben. Auf der anderen Seite unterstützt die Türkei im Bezirk Idlib die verschiedenen bewaffneten islamistischen Gruppierungen.
Und die wirtschaftliche Situation?
Auf der wirtschaftlichen Ebene sind die Teuerung sowie die Inflation das grösste Problem. Zum einen als Folge des Krieges, der 2011 begann. Zum anderen wegen der massiven Sanktionen, die von den Amerikanern und Europäern 2020 noch verschärft worden sind.
Wie sieht der Alltag der Menschen aus?
Es mangelt an Strom, der nur vier Stunden pro Tag zur Verfügung steht. Die Löhne sind gleich tief geblieben wie vor der Inflation. Medikamente sind Mangelware. Besonders für schwierigere gesundheitliche Probleme sind sie sehr teuer.
Inwiefern hat der Krieg in Gaza und im Libanon Auswirkungen auf das Leben der Menschen in Syrien?
Wie man in den Nachrichten hört, bombardiert Israel auch Ziele in Damaskus und Umgebung – auch den Flughafen. Seit die israelische Armee die Angriffe auf den Libanon verschärft hat, sind bereits viele Libanesinnen und Libanesen wie auch syrische Flüchtlinge nach Syrien geflohen. Und es werden immer mehr, obwohl die Lage auch dort sehr prekär ist.
Welche Nachrichten erreichen Sie von ihrer Familie, die aus dem Südlibanon kommt? Wie halten Sie Kontakt zu ihrer Familie?
Meine Familie berichtete mir von den schrecklichen Bombardierungen in Beirut, wo sie zurzeit lebt. Die Wohnung meiner Mutter in Sabtiyeh, 5 Kilometer vom Hisbollah Hauptquartier Haret Hreik entfernt, wo die starken Detonationen stattgefunden haben, hat mehrmals gewakelt. Mein jüngster Bruder Michèle, der ebenfalls nicht weit weg wohnt, musste mit seiner Familie die Wohnung verlassen und an einem anderen Ort gehen, da die Kinder und die Frau von diesen Angriffen stark traumatisiert wurden. Im Elternhaus im Schoufgebirge in der Ortschaft Kafarnabrak beherbergen wir jetzt einige libanesische Flüchtlingsfamilien aus der Beka-Ebene. Ich stehe mehrmals täglich mit ihnen in telefonischen Kontakt und hoffe, dass diese Verbindungen weiterhin funktionieren.
Was berichtet Bischof Antiba?
Der emeritierte Patriarchalvikar der griechisch-katholisch melkitischen Kirche in Damaskus Nicolas Antiba ist verzweifelt über die extrem schwierige Lage der Christinnen und Christen in seiner Heimat. Er sieht die grosse Not in Damaskus und im ganzen Land und versucht mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen.
Wie ist die Stimmung unter den orientalischen Christinnen und Christen in Deutschland, die Sie als Seelsorger begleiten?
Die orientalischen Christinnen und Christen in Deutschland sind äusserst beunruhigt und traurig über das Geschehen in ihrer Heimat. Sie fühlen sich ohnmächtig gegenüber der politischen und militärischen Lage. Sie haben wenig Ressourcen, um Angehörige zu unterstützen. Sie bedauern, dass die internationale Gemeinschaft diese Gewalt nicht stoppen kann.
Wie können Christinnen und Christen in der Schweiz helfen?
Jede Christin und jeder Christ möge sich nach ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten für die Gerechtigkeit und den Frieden im Nahen Osten und auf der ganzen Welt einsetzen. Pater Georges, vielen Dank für das Gespräch.
Pater Georges, vielen Dank für das Gespräch.
Andreas Baumeister