Ali, Soura und Farah – drei Kinder, drei Schicksale in Beirut
Nur eine Minderheit der Flüchtlinge im Libanon lebt in eigentlichen Flüchtlingslagern in Zelten. Die meisten sind in Mietunterkünften oder kleinen Häusern in den Armenquatieren der Grossstädte untergebracht. Ihre Wohnsituation ist oft unsicher und ungesund.
In Nabaa und Sabra bei Beirut leben Tausende von Flüchtlingen. Hier unterhält das Projekt Beit-el-Nour Beratungsstellen für Kinder, die vom Krieg traumatisiert sind. Sie werden oft von staatlichen Gesundheitsdiensten oder christlichen Pfarreien, die Nahrungsmittel in diesen Quartieren verteilen, zu Beit-el-Nour geschickt oder sie hören durch Mund-zu-Mund-Propaganda davon. Robert Caracache, Vizedirektor von Beit-el-Nour, stellt anhand der Schicksale von Ali, Soura und Farah die Arbeit seiner Organisation vor.
Ali – auf sich alleine gestellt
Ali ist neun Jahre alt und lebt mit seiner Mutter und seinen vier Schwestern seit mehr als vier Jahren in einer Unterkunft für syrische Flüchtlinge in Beirut. Sein Vater hat die Familie verlassen und ist nach Syrien zurückgekehrt. Ali besucht nur sehr unregelmässig die Schule und ist den ganzen Tag auf sich gestellt. Eine Sozialarbeiterin hat er nachts auf der Strasse in eines unserer Zentren eingewiesen. Wir haben als erstes mit der Mutter Kontakt aufgenommen, die sehr erleichtert war, dass ihr Kind lebt und nicht entführt wurde oder tot ist. Der Jugendrichter hat entschieden, dass Ali nach einer psycho-sozialen Behandlung bei uns zu seiner Familie zurückkehren soll, damit er wieder zur Schule gehen kann.
Soura – starke Angstzustände
Die 15-jährige Soura wird in unserem Zentrum in Sabra behandelt. Vorher hat sie zusammen mit ihren vier Geschwistern bei ihren Eltern gelebt. Ihre Mutter verhielt sich sehr aggressiv gegenüber ihren Kindern. Ihr Vater unternahm mehrere Selbstmordversuche. Die Kinder waren Zeugen dieser Aktionen und waren dadurch stark traumatisiert. Unsere Sozialarbeiterin stellte bei Soura starke Angstzustände und eine schwere Depression fest. In einem Gespräch mit der Mutter erfuhren wir, dass Soura als 13-Jährige zweimal vergewaltigt worden war. Die Mutter erzählte auch, dass sie selbst als Jugendliche vergewaltigt worden war. Soura hat nun regelmässig Gespräche mit unserer Sozialarbeiterin und mit unserer Psychologin, in denen sie erzählte, wie sehr sie unter den Erinnerungen an diese Gewalttaten leidet. Schritt für Schritt hat Soura neues Vertrauen in ihr Leben zurückgewonnen.
Farah – Vater-Tochter-Konflikt
Die 12-jährige Farah lebt mit ihrer fünfköpfigen Familie in dem palästinensischen Flüchtlingslager Sabra, in einer Behausung aus einem einzigen Raum, einer kleinen Küche sowie einer Toilette. Ihr Vater schlägt sie, wenn sie aufmüpfig wird. Farah wurde in ihrer Familie vernachlässigt und entwickelte Minderwertigkeitsgefühle. Ihr Verhalten ist nicht altersgemäss. Bei uns ist Farah ein ruhiges und ängstliches Mädchen. Dank der Therapiegespräche mit unserer Sozialarbeiterin und Psychologin verändert Farah ihr Verhalten. Auch ihr Vater, den wir einbeziehen, verhält sich toleranter seiner Tochter gegenüber, als wir es erwartet haben.
Dr. Robert Caracache, Bourj Hammoud, Beirut