Die Technische Schule der Salesianer in Bethlehem
Im Mittelpunkt steht der Schüler, die Schülerin
Bethlehem. Pater Daniel steht vor dem grossen Eisentor der technischen Schule im Herzen der Bethlehemer Altstadt. Der ägyptische Salesianer, seit fünf Jahren Schulleiter und Rektor der Salesianergemeinschaft in Bethlehem, verabschiedet seine Schüler persönlich.
Zurück bleiben eine Handvoll Zwölftklässler. Sie kommen aus Nablus, aus Hebron, aus Orten im Westjordanland, welche die tägliche Anreise zum Unterricht schwierig machen. Ein Zimmer in Bethlehem, Familienbesuche alle ein bis zwei Wochen, lautet die Lösung, um den unberechenbaren Checkpoints der israelischen Armee zu entgehen.
Einfach ist das nicht, sagt Khaled Salam aus Nablus in fliessendem Englisch, «aber ich lerne hier, um meine Familie stolz zu machen». Im Übrigen ist der 17-jährige gerne hier. «Die Gemeinschaft mit den Brüdern und den Lehrern hier ist eine besondere, und was ich lerne, hilft mir enorm für die Zukunft.»
Auf das gute Miteinander von Schülern und Lehrern ist Pater Daniel besonders stolz: «Dafür habe ich fünf Jahre gekämpft Palästinensische Lehrer denken, der Schüler müsse zu allererst gehorchen. Aber Schüler haben Gefühle. Wenn man sie erreichen will, muss man ihnen zuhören.» Die dadurch entstandene familiäre Atmosphäre schätzen die Schüler besonders – und kommen schon mal deutlich vor Unterrichtsbeginn auf den Campus, um sich mit ihren Lehrern auszutauschen. «Das wichtigste an einer Schule sind die Schüler, nicht die Lehrer», sagt Pater Daniel. Jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn treffen sich alle zum Morgengespräch zu einem bestimmten Thema, das jeden Monat wechselt.
Sie lehren nicht nur Handwerk sondern auch «Liebe».
Nicht nur in Sachen Schüler-Lehrer-Beziehungen sind die Salesianer vorbildlich. Auch das Miteinander der Religionen ist ein wichtiger Aspekt. Mit elf Schülern sind die Christen deutlich in der Minderheit. Der Kontakt zu ihnen, zu den mehrheitlich christlichen Lehrern und den Salesianerbrüdern, eröffne den muslimischen Schülern eine neue Welt: «Viele sagen uns, ‹Ihr seid anders, als wir dachten›», sagt Pater Daniel. «Sie danken uns für die Werte, die sie bei uns gelernt haben.»
In diesen Geist gehören für den Salesianer auch Begegnungen mit dem israelischen Nachbarn. Grundsätzlich, sagt er, sind die Beziehungen gut, «weil sie wissen, dass wir hier Liebe lehren. Wir lehren die Schüler, dass ihre Feinde «Ignoranz und Hass heissen, nicht Israel». Umso bedauerlicher sei es, dass das Pilotprojekt vom vergangenen Jahr – ein Tagesausflug der Schule nach Israel – in diesem Jahr wegen fehlender israelischer Genehmigungen nicht wiederholt werden konnte.
Ruf der guten Ausbildung eilt voraus
Traditionell wird in Palästina das Handwerk vom Vater an den Sohn weitergegeben. Die Salesianerschule und ihre technische Ausbildung hat daher ein Alleinstellungsmerkmal im Land, ihre Absolventen sind entsprechend gefragt. «Wir decken einen Grossteil des Marktes ab», sagt Elektrikdozent Ibrahim Diyarbakerli, der von dem sonst in Palästina üblichen Praktikumsprinzip nicht überzeugt ist. «Das funktioniert in Europa, wo grosse Unternehmen professionell ausbilden. Die kleinen Familienbetriebe hier haben nicht genug Zeit für ihre Praktikanten.»
Khaled, Ghaad und ihre Mitschüler führen unterdessen mit zunehmendem Stolz und schwindender Scheu durch die verschiedenen Sektionen der Schule. Von Drehmaschinen über computergesteuerte Präzisionsfräsmaschinen über Schaltbretter, die Fehler in Automatisierungsprozessen simulieren, zu ausgebauten Automotoren: in ihren verschiedenen Fachbereichen sind die Schüler in ihrem Element. Alle hier hoffen auf gute Abschlussnoten, um dann an einer ausländischen Universität zu studieren. Am renommierten Massachusetts Institute of Technology will Khaled Maschinenbau studieren. Ghaad, Muawia und Karam träumen vom Studium in Deutschland.
Der Ruf der guten Ausbildung eilt der Schule mittlerweile voraus. Eltern hören vom Erfolg früherer Absolventen und schicken ihre Söhne. 149 Schüler und 20 Lehrer in den sechs Sektionen Tischlerei, Drehen und Fräsen, Elektrik, Industrieelektronik, Automechanik und Mechatronik zählt der Schulzweig, zu den Berufsbildungskursen am Nachmittag kommen 169 weitere Teilnehmer.
Fast vor dem Aus
Allem Erfolg zum Trotz könnte die Schule sich ohne Hilfe von aussen nicht halten. Vor drei, vier Jahren stand die Schule beinahe vor dem finanziellen Aus. 3000 Schekel jährliches Schulgeld, umgerechnet 850 Franken, decken nicht einmal die Hälfte der Kosten – und sind doch das Maximum dessen, was Familien zahlen können, wie Pater Daniel erklärt. «Längst nicht alle können das volle Schulgeld zahlen, manche zahlen überhaupt nichts».
Um die laufenden Kosten abzufangen sowie Maschinen und Material einzukaufen, sind die Salesianer auf Spenden z. B. vom Schweizerischen Heiligland-Verein ebenso angewiesen wie auf kluges Wirtschaften. Die Kunsthandwerksabteilung, die dem Orden seit Jahren ein Defizit beschert, muss daher zum Bedauern des Schulleiters im kommenden Mai schliessen. Der beständige Wandel des Angebots ist ein Grundzug, der die Schule seit ihrer Gründung prägt.
Neue Projekte erfordern die Kenntnis des Marktes, sagt Ibrahim Diyarbakerli, nicht selten seien die Salesianer dabei Pioniere in Palästina. Automatikgetriebe an Autos etwa sei so ein Zweig, in dem es bisher kaum Fachleute gebe. Photovoltaik, eines der jüngsten Kinder im Angebot, ein weiterer. «Der Markt entwickelt sich ständig weiter, wenn wir nicht mitgehen, können wir dichtmachen.»
Die technische Ausbildung mache es den Schülern bei der Jobsuche wesentlich leichter als etwa Absolventen geisteswissenschaftlicher Fächer, sagt Industrieelektronikdozent Elias Baboun, «weil sie ihre vielfältigen Fertigkeiten auch in benachbarten Branchen einbringen können». Nichts desto trotz leide der Arbeitsmarkt enorm unter der politischen Situation, die das Land zu einer Art «geschlossenen Kreislauf» mache. Wenn es erst Frieden gibt, zeigt sich der Bethlehemer Christ optimistisch, «werden nicht nur unsere Schüler das grosse Los ziehen, sondern viele von aussen hier Arbeit finden». In der Zwischenzeit hilft ein eigenes Job-und Karrierezentrum an der Schule den Abgängern auf dem Weg in die Arbeitswelt.
Mit den Absolventen pflegt die Schule gute Kontakte. Ein Ehemaliger etwa, sagt Pater Daniel, habe unlängst zugestimmt, 19 Schüler in seinem Betrieb als Praktikanten weiter auszubilden. «Zahlreiche Erfolgsgeschichten hier und im Ausland geben unserem Schulkonzept recht», sagt Pater Daniel, der die Schulleitung in den kommenden Monaten an seinen syrischen Mitbruder Bashir abgeben und nach Kairo zurückkehren wird. «Was wir hier anbieten, ist wichtig für die Menschen!»
+ Andrea Krogmann, Jerusalem
Spendenvermerk: Technische Schule, Bethlehem