Haifa: «Wir sehen die menschliche Seite in ihnen, nicht die des Verbrechers»
Andrea Krogmann: Was ist das «Haus Gnade» heute?
Jamal Shehade: Wir haben drei Schwerpunkte. Erstens die Gefangenenrehabilitation: Für neun Monate leben die entlassenen Gefangenen bei uns, um Fähigkeiten als normative Menschen zu entwickeln. Wir wollen sie stärken für die Rückkehr in die Gesellschaft, in dem wir ihnen helfen, Arbeit zu finden, Probleme wie Schulden zu bewältigen und einen Neuanfang mit der Familie zu schaffen. Anschliessend begleiten wir sie ein weiteres Jahr, während sie ausserhalb leben.
Der zweite Schwerpunkt sind notleidende Familien. Unsere Möglichkeit, sie finanziell zu unterstützen, ist eingeschränkt, aber wir helfen mit Nahrungsmitteln oder Medikamenten. Viel wichtiger ist allerdings die Beratung, bei der die Stärkung des Einzelnen sowie der Familie im Mittelpunkt steht.
Der dritte Schwerpunkt schliesslich ist die Jugendarbeit. Wir bieten Kindern von 7 bis 17 Jahren zahlreiche Nachmittagsaktivitäten und versuchen damit, ihre Persönlichkeiten zu stärken und sie etwa durch Hausaufgabenhilfe in der Schule zu unterstützen. Das Hauptziel ist, dass sie ihre Talente entdecken und Stärken entwickeln können. Sie sollen sehen, dass sie für andere da sein können und dass sie das Recht haben, eigene Träume zu haben und nach deren Erfüllung zu streben.
Wie lässt sich die hohe Erfolgsquote bei der Wiedereingliederung der Gefangenen erklären?
Ein wesentliches Merkmal von „Haus Gnade“ ist die familiäre Atmosphäre. Wir leben zusammen und es herrscht gegenseitiger Respekt. Gleichzeitig gibt es eine Liebe für den Menschen: Wir sehen die menschliche Seite in ihnen, nicht die des Verbrechers. Wir zeigen ihnen, dass wir keine Angst vor ihnen haben und bringen ihnen Vertrauen entgegen. Dadurch übernehmen sie Verantwortung, statt einfach zu tun, was andere sagen. Dazu kommt ein professionelles Team. Alles in allem führt das dazu, dass sie Hoffnung schöpfen und einen neuen Sinn im Leben finden.
Welches sind die grössten Herausforderungen?
Zu den grossen Herausforderungen gehört die Finanzierung, insbesondere dann, wenn wir nicht die volle Unterstützung der Behörden erhalten. Im gegenwärtigen Weltgeschehen mit den unzähligen Problemen liegt der Fokus der Menschen und der Medien nicht mehr so sehr auf dem Heiligen Land. Gleichzeitig gibt es viele Organisationen, die um Unterstützung werben, die Konkurrenz ist gross.
Innergesellschaftlich ist es zudem eine Herausforderung, den Menschen klar zu machen, das unsere Klienten eine zweite Chance verdienen, dass die Familien in Not Unterstützung brauchen usw. Das verständlich zu machen, benötigt viel Kraft.
Interview: Jamal Shehade, Leiter von „Haus Gnade“ in Haifa im Gespräch mit Andrea Krogmann
Spendenvermerk: Haus Gnade – Resozialisierungsprogramm