«Wer alles gibt, hat die Hände frei» – Mit Charles de Foucauld einfach leben lernen

Bruder Karl und das einfache Leben
Zugegeben, mein Interesse am neusten Buch von Andreas Knapp wäre fast schon am schmucken, «zeitgeistigen» Bucheinband zerschellt: stilisierte verblühte Löwenzahnblumen, in goldenem Prägedruck auf dezentem blau-grau-violett … so muss wohl ein dünnes Büchlein aus der «Lebenshilfe»-Ecke daherkommen, dachte ich mir schliesslich – und wandte mich den 170 dicht beschriebenen Seiten zwischen den Buchdeckeln zu.
Zum Glück! Denn unter dem herausfordernden Titel «Wer alles gibt, hat die Hände frei» lädt der erfolgreiche deutsche Priester, geistliche Autor und Lyriker – im Untertitel – dazu ein, «Mit Charles de Foucauld einfach leben lernen». Damit sind die drei Fixsterne, an denen sich diese spannende Sinnsuche orientiert, genannt: Charles de Foucauld, und mit dem kürzlich in Rom heiliggesprochenen Franzosen immer auch – und zu allererst – Jesus von Nazaret, schliesslich der Autor selber, der als Kleiner Bruder vom Evangelium ein Mitglied der bunten Geistlichen Familie von Bruder Karl ist.
Andreas Knapp stellt den «frischgebackenen» Heiligen und wesentliche Züge seines biografischen und spirituellen Suchens vor, seine tiefe Faszination für das «geheime Leben» von Jesus während seiner dreissig Lebensjahre «in Nazaret». Die Kürze der Kapitel, die unterschiedlichen Textarten und Erzählformen – fiktiver Briefwechsel, anekdotische Erzählung, dokumentarische Beschreibung, kurze Gedichte –, sowie die vielfältigen Ansatzpunkte der Gedankengänge können leicht den Eindruck von einem Himmel voller flüchtiger Sterschnup-
pen erwecken… jeweils ein kurzes Aufleuchten, dann das Verglühen, und schon ein nächstes, anderes Aufleuchten.
Dieser Eindruck allerdings trügt: Jedes Kapitel, jeder Gedankengang, jedes Gedicht lohnt eine aufmerksame Lektüre, ein gelegentliches Wiederlesen und geistig-geistliches Wiederkäuen. Weitab von jeder süffig, seichten, wohlfeilen «Ratgeberliteratur» ist es kein Buch, das in einer guten Stunde «durchgelesen» werden will – nein, eine Sammlung von tiefsinnigen Impulsen, um mit Jesus, Charles de Foucauld und seiner Geistlichen Familie «einfach leben» zu lernen … wobei der Akzent genauso gut auf «einfach» wie auf «leben» gelesen werden kann!
Boris Schlüssel