Geschichte

Leo Häfeli – Stadtpfarrer und Privatdozent

Eine spannende Persönlichkeit der Gründerzeit

Der «Verein Schweizerischer Jerusalempilger» verhalf dem späteren Stadtpfarrer von Baden zu seiner ersten Forschungsreise ins Heilige Land. Eine Seminararbeit beleuchtet Dr. Leo Häfeli (1885–1948), sein Leben und sein Wirken – ein hochbegabter «Orientalist» und eine spannende Persönlichkeit aus den Anfängen des Schweizerischen Heiligland-Vereins.

Am 18. April 1885 kam im aargauischen Klingnau der kleine Leo zur Welt. Über seine Kindheit und Jugend «in bürgerlichen Verhältnissen» ist wenig bekannt – sicher aber ist, dass der begabte Junge das Gymnasium mit Auszeichnung abschloss. Danach folgte das Theologiestudium in Freiburg im Breisgau und in Tübingen. Bereits mit 23 Jahren wurde Leo Häfeli zum Priester geweiht und trat seine erste Stelle als Pfarrhelfer in Bad Zurzach an.

 

Pfarrer Leo Häfeli (1933) Historisches Museum Baden, Fotohaus Zipser
Pfarrer Leo Häfeli (1933)
Historisches Museum Baden, Fotohaus Zipser

 

Sprachgenie mit zwei Doktortiteln
Neben seiner kirchlichen Laufbahn als Priester und Seelsorger war Häfelis Leben aber stets ebenso stark bestimmt von seiner Faszination und Leidenschaft für die Sprachen und Kulturen des «alten Orients». Hervorragende Kenntnisse in Arabisch, Assyrisch, Griechisch, He-brä-isch und Syrisch sowie kompetenten Gebrauch von Latein, Englisch und Französisch attestiert ihm Damian Troxler in seiner Seminararbeit, die er im Sommer 2022 am Departement für Zeitgeschichte der Universität Fribourg eingereicht hat.

Da verwundert es nicht, dass Leo Häfeli nach seiner Pfarrhelfer-Zeit gleich zwei Doktortitel erworben hat: in Philosophie in Tübingen und in Theologie in Freiburg im Breisgau. Seine ersten Publikationen befassten sich mit Samaria und Peräa. Häfeli forschte und schrieb über diese Landstriche im «Heiligen Land», ohne je dort gewesen zu sein.

Ein grosser Traum geht in Erfüllung
Dass der junge Geistliche längst von einer ausgedehnten Forschungsreise in den Nahen Osten träumte, lässt sein Wechsel ans Päpstliche Bibelinstitut in Rom erahnen. Leider zerschlugen sich die weit gediehenen Pläne bald durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges – der Schweizer musste in seine Heimat zurückkehren, wo er als Pfarrer in Würenlos wirkte. Schliesslich verhalf ihm ein vom «Verein Schweizerischer Jerusalempilger» – dem heutigen Heiligland-Verein – vermitteltes Stipendium zur ersten Reise «nach dem Morgenlande», wie Häfeli in seiner Publikation «Ein Jahr im Heiligen Land» begeistert und dankbar festhielt: «… dass es mir vergönnt war, … meine seit bald zwanzig Jahren betriebenen orientalischen Studien fast ein ganzes Jahr lang durch unmittelbaren Augenschein zu vertiefen …».

Leo Häfelis Buch «Ein Jahr im heiligen Land» Druck und Verlag, Räber & Cie. , Luzern 1924
Leo Häfelis Buch «Ein Jahr im heiligen Land»
Druck und Verlag, Räber & Cie. , Luzern 1924

Auch Vermittler zwischen den Kulturen
Nach diesem «Forschungsjahr» folgten einschlägige Publikationen im Jahres-takt – etwa über Cäsarea am Meer, Flavius Josephus, Syrien und den Libanon. Häfelis Forschungen erregten über Europa hinaus Aufmerksamkeit und brachten ihn schliesslich als Privat-dozent an die Universität Zürich. Nun mehr als – ebenso geschätzter und umtriebiger – Stadtpfarrer von Baden dozierte er in Zürich Syrisch, Palästinensisch-Arabisch und über die Kultur des Heiligen Landes zur Zeit Jesu. Damian Troxler zeigt schlüssig auf, dass Leo -Häfelis Sicht auf Länder und Menschen des Nahen Ostens nicht vorschnell mit dem negativen Etikett «Orientalismus» (stereotype, westlich «beschränkte» Wahrnehmung der kulturellen Vielfalt) abqualifiziert werden darf. Dass das Urteil differenzierter ausfallen muss, beweisen die Zeilen der Israelitischen Kultusgemeinde Baden über den allzu früh verstorbenen Stadtpfarrer: «… dessen Menschenliebe und Herzensgüte keinen Unterschied unter den Konfes-sionen kennt».

Boris Schlüssel

 

Am Anfang stand ein über 500-köpfiger Pilgerzug nach Jerusalem

120 Jahre Schweizerischer Heiligland-Verein

Die Vereinsgeschichte des Schweizerischen Heiligland-Vereins reflektiert die vielfältigen kirchlichen, gesellschaftlichen, lokal- und weltpolitischen Veränderungen des 20. Jahrhunderts – sowohl in der Schweiz als auch in Palästina und im Nahen Osten. Zum Auftakt unseres 120-Jahr-Jubiläums werfen wir einige Blitzlichter auf das spannende Werden und Wirken des «Verein Schweizerischer Jerusalempilger».

Als der Vitznauer Pfarrer Niklaus Bättig am 28. Oktober 1901 zusammen mit zehn weiteren Jerusalempilgern – allesamt Kleriker – in Zürich den «Verein Schweizerischer Jerusalempilger» (VSJP) gründete, nannte er als Vereinszweck: Kenntnis des Heiligen Landes, Freundschaft der Jerusalempilger, Abhaltung von Volkswallfahrten, Unterstützung von Priestern, die das Heilige Land studieren wollen, Weckung des Interesses für die katholischen Werke Palästinas und das Gebet für Palästina. Nach Festlegung der Statuten und Konstituierung des Vorstands machte man sich sogleich daran, einen «Schweizerischen Pilgerzug» ins Heilige Land zu planen. Die Umsetzung dieses Vorhabens nahm jedoch noch fast zwei Jahre in Anspruch.

 

120 Jahre Schweizerischer Heiligland-Verein – Pilgerinnen und Pilger der Jungfrauen­kongregation aus Steinerberg.
Pilgerinnen und Pilger der Jungfrauen­kongregation aus Steinerberg.

 

Mobile Altäre auf dem Hinterdeck
An der ersten «Schweizerischen Volkswallfahrt ins Heilige Land» im September 1903 nahmen 515 Pilgernde teil – darunter 170 Frauen und 121 Priester. Die Pilgerschar wurde in fünf nach Kantonen geordnete Gruppen eingeteilt, die jeweils von einem «Gruppenspiritual» geleitet wurden. Zwei Drittel der dreiwöchigen Reise verbrachten die Pilgerinnen und Pilger an Bord eines Schiffes auf dem Mittelmeer, wo auf dem Hinterdeck täglich ab vier Uhr morgens an zwölf mobilen Altären Heilige Messen zelebriert wurden. Nur gerade acht Tage dauerte der Aufenthalt in Jerusalem, der von Besuchen an heiligen Stätten sowie Andachten und Gottesdiensten geprägt war. Auf eigene Rechnung konnten die Wallfahrenden einen Tagesausflug nach Emmaus, Hebron, Jericho und ans Tote Meer unternehmen.

 

120 Jahre Schweizerischer Heiligland-Verein – Zweite Gruppe von fünf für die erste Schweizer Heiliglandfahrt.
Zweite Gruppe von fünf für die erste Schweizer Heiliglandfahrt.

 

1908 drohte die zweite «Schweizerische Heiliglandfahrt» an zu geringer Beteiligung zu scheitern – im Vereinsorgan «Pilgerbrief» redete der Vorstand den Mitgliedern ins Gewissen: «… es wäre in der Tat eine Schmach, wenn wir nicht 500 katholische Schweizer für Jerusalem aufbrächten! So viel Begeisterung für die heiligsten Stätten der Erde wird hoffentlich noch in unserm Vaterlande zu finden sein!» Schliesslich trafen die nötigen 500 Anmeldungen ein und die grosse Pilgerschar konnte ins Heilige Land aufbrechen. Die für 1913 geplante, schliesslich auf 1914 verschobene dritte «Schweizerische Heiliglandfahrt» konnte wegen mangelndem Interesse und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht mehr stattfinden.

Zeitschrift im Wandel
Die Heiliglandfahrten bildeten während Jahren einen zentralen Inhalt des «Pilgerbrief». In den zwei bis vier jährlichen Ausgaben wurden ausführliche Reiseberichte publiziert und intensiv für die Teilnahme an der nächsten Pilgerreise geworben. Von Anfang an gehörten auch Berichte über die Geschehnisse in Palästina zu den Inhalten des «Pilgerbrief». So informierte zum Beispiel der Schweizer Benediktinerpater Mauritius Gisler, der in den 1930er Jahren in der Dormitio Mariae auf dem Zionsberg in Jerusalem lebte, regelmässig über die Situation in der Stadt und in der Region. Später kamen immer mehr auch «einheimische» Stimmen dazu, zumeist Vertreter der römisch-katholischen oder einer orientalischen Kirche.

 

120 Jahre Schweizerischer Heiligland-Verein – Ausschiffung in Jaffa
Ausschiffung in Jaffa

 

Die Mitgliederzeitschrift hatte im Laufe der Jahrzehnte ganz unterschiedliche Gesichter, stets abhängig von der Persönlichkeit und den Interessen des Redaktionsteams. Als der «Pilgerbrief» 1972 neu konzipiert und fortan «Heiliges Land» genannt wurde, übernahm der Bibelwissenschaftler Walter Bühlmann die Leitung und setzte während zehn Jahren stark auf die Vermittlung von «Orten und Umwelt der Bibel». Später standen mehr und mehr die aktuellen Hilfsprojekte des Vereins und die konkrete Lebenssituation der christlichen Gemeinden und Gemeinschaften im Nahen Osten im Fokus der Zeitschrift.

8000 Mitglieder nach 25 Jahren
Wichtiges «Pilgerbrief»-Thema war stets auch das Werben neuer Mitglieder. Der erste Aktuar und Redaktor, Pfarrhelfer Dominik Kreienbühl, setzte mit detaillierten Statistiken auf den «Wettbewerb unter den Kantonen»: So erreichte der Kanton Zug im Jahr 1905 die verhältnismässig grösste Mitgliederzahl, weil von 119 Katholikinnen und Katholiken eine Person Mitglied des VSJP war!
Das erste Viertel der Vereinsgeschichte war denn auch bezüglich Mitgliederzahl eine Erfolgsgeschichte: 1910 traten mehr als 1000 Personen bei und im Jubiläumsjahr 1926 umfasste die Mit­gliederliste rund 8000 Namen. Weil die unsichere politische Lage und die kriegerischen Auseinandersetzungen über Jahre Volkswallfahrten in den Nahen Osten verunmöglichten, fehlte dem Verein – seit 1919 «Schweizerischer Heiligland-Verein» (SHLV) – die wichtigste Möglichkeit der Mitgliederwerbung. Nach dem Zweiten Weltkrieg zählte der SHLV noch 6000 Mitglieder, 1990 waren es 3000 und heute sind es noch 550. Bis 1958 betrug der Mitgliederbeitrag übrigens 1 bzw. 1.50 Franken, später zwischen 2 und 5 Franken. 1973 wurde die «immerwährende Mitgliedschaft» abgeschafft und der Mitgliederbeitrag auf 10 Franken erhöht. Heute sind es 60 Franken.

Wo die drei Könige niederknieten
Als eindrückliches Beispiel für die Veränderung «der Weltsicht» seit den Anfängen des SHLV sei zum Schluss aus dem Pilgerbrief Nr. 6 (1906) zitiert, wo das Glück des Jerusalempilgers gepriesen wird, der sich in Bethlehem mit eigenen Augen ein Bild von den weihnächtlichen Geschehnissen machen kann: «Beim Jerusalempilger nämlich sind jene unrichtigen Vorstellungen, welche er sich von Kindheit auf besonders hinsichtlich des Ortes der Geburt Jesu gemacht hatte, jetzt gründlich korrigiert (z. B. der obligate «Stall» mit dem Strohdach) (…) die diesbezüglichen Personen und Örtlichkeiten stellt er sich nicht bloss weit richtiger, sondern auch viel lebhafter vor: weiss er doch z. B. ganz genau die Stelle, wo das göttliche Kind zur Welt kam, wo es in der Krippe lag, wo die drei Könige knieten u. dgl.»

Boris Schlüssel, Oberwil ZG

 

Aufgearbeitet und eingeordnet
Dieser Artikel konnte dank der aufschlussreichen Diplomarbeit von Judith von Ah aus Thun verfasst werden. Die Theologin hat ihre Abschlussarbeit mit dem Titel «Kirchengeschicht­licher Rückblick auf die 100-jährige Tätigkeit des Schweizerischen Heiligland-­Vereins» im April 2000 bei Prof. Dr. Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte an der Theo­logischen Fakultät Luzern, ein­gereicht.

«Vereinsgeschichte» in französischer Sprache (PDF)
«Vereinsgeschichte» in italienischer Sprache (PDF)

 

Die ersten Pilgerinnen und Pilger berichten

Immer nach der Heiligen Schrift

Pilgern und Wallfahrten sind Phänomene, die lange vor dem Christentum in vielen Kulturen auftauchen – auch im Judentum und in der griechisch-römischen Antike. Die christliche Heiligland-Wallfahrt konnte sich erst ab dem 4. Jahrhundert entwickeln. Ein Blick in die ältesten christlichen «Pilgerberichte».

 

Das Phänomen des Pilgerns im frühen Christentum wurde – wenig erstaunlich – stark geprägt von den jüdischen Wallfahrten zum Jerusalemer Tempel und den Pilgerströmen zu den kleinen und grossen Heiligtümern der grie­chisch-­römischen Antike. Einen starken Einfluss übte auch die Wallfahrtpraxis im vorislamischen arabischen Bereich aus: Die nomadisierenden Stämme versammelten sich im Frühling und Herbst zu Wallfahrtsfesten, die als «Jahrmärkte» vor allem ökonomisch, politisch und sozial von grosser Bedeutung waren. Hier wurde auch Gericht gehalten, wurden Urteile vollzogen, Verträge geschlossen. Neben religiösen Kultorten an Quellen, Bäumen, Steinstelen oder auf Bergen waren auch die Grabstätten «grosser Ahnen» Zielorte dieser Wallfahrtsfeste.

Kaiser Konstantin baute «neues Jerusalem»

Die ersten Christinnen und Christen pilgerten «weiterhin» nach Jerusalem zu den jüdischen Wallfahrtsfesten – zum Paschafest an Ostern oder zum Wochenfest an Pfingsten. Die Spannungen zwischen den judenchristlichen und den heidenchristlichen Strömungen, die Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 nach Christus und die Diskriminierung und phasenweise Verfolgung von Juden und Christen im römischen Reich liessen eine «christ­liche» Heiligland-Pilgerfahrt zunächst gar nicht entstehen. Erst im 4. Jahrhundert gewannen Jerusalem als «Heilige Stadt» und Palästina als «Heiliges Land» für die Christenheit wieder religiöse und theologische Bedeutung. Kaiser Konstantin verwandelte durch seine rege Bautätigkeit das «alte Jerusalem» in ein «neues Jerusalem», in deren Zentrum die christliche Auferstehungskirche steht. Damals begannen die ersten christlichen Pilgerinnen und Pilger die heiligen Stätten im Heiligen Land aufzusuchen.

Pilgerzugsleitung: Dritte schweizerische Volkswallfahrt ins Heilige Land, April–Mai 1925

Eine ungeheure Interessenvielfalt

Dass von den ersten Palästina-Pilgernden kaum Zeugnisse existieren, hat verschiedene Gründe: Viele Christinnen und Christen gehörten zu den unter­privilegierten Schichten der Gesellschaft und konnten sich eine Pilgerreise nicht leisten. Eine Reise in den Orient bedeutete nicht nur eine finanzielle Herausforderung, sondern stellte auch höchste Ansprüche an die körperliche und geistige Verfassung. Davon berichtet der älteste lateinische Pilgerbericht, das «Itinerarium Burdigalense»: Der namenlose Pilger aus Bor­deaux machte sich im Frühling 333 auf ins Heilige Land und kehrte ein Jahr später zurück. In seinem «staubtrockenen» Reisebericht hat er sich für Hin- und Rückreise darauf beschränkt, die Namen aller römischen Poststationen aufzuzählen, dazu die Entfernungen in gallischen bzw. römischen Meilen. Dass der zahlenaffine Pilger mit dem «cursus publicus» – der hervorragend organisierten römischen Post – reisen konnte, deutet darauf hin, dass er ein römischer Bürger war, vielleicht sogar ein Staatsbeamter. Viel gesprächiger war in seinen Reisenotizen der – ebenfalls anonyme – «Pilger von Piacenza», der um 570 das Heilige Land besuchte. Er beeindruckt mit seiner ungeheuren Interessenvielfalt, die sich in seinem spannenden Reise­bericht wiederspiegelt: Charakter und Lebensverhältnisse der Menschen, Handel und Gewerbe, Landwirtschaft und Gartenbau, Landschaft, Kultur und Medizin. Sein Bericht gibt einen eindrücklichen Überblick über die christlichen Gebräuche und kirchlichen Bauten im Palästina des 6. Jahrhunderts und in den Nachbarländern – allein 43 Heiligengräber werden aufgeführt, zudem eine ausführliche Reliquienliste.

Einzug in die Heilig-Grab-Kirche, April–Mai 1925

Vier Jahre waren nicht genug

Der «Shooting Star» unter den frühen Palästina-Pilgernden ist aber Etheria (oder Egeria), die im späten 4. Jahrhundert eine fast vierjährige Pilgerreise durch Palästina, ins Ostjordanland und nach Syrien, in den Sinai und nach Ägypten unternommen hat – schliesslich machte sie noch einen «Abstecher» nach Mesopotamien. Die vermutlich aus Spanien stammende «fromme Dame» gestaltete ihre Reise «semper iuxta scripturas» – immer nach der Heiligen Schrift! Unermüdlich pilgerte Etheria von Pilgerstätte zu Pilgerstätte, fragte ihre «local guides» pausenlos und un­erbittlich nach konkreten Spuren des heiligen Geschehens. Ihre Pilgerreise erinnert an die «Schweizer Heiliglandfahrten» des jungen «Vereins schweizerischer Jerusalempilger»: Etheria reist nie allein, die Pilgergruppen führen ortsansässige Kleriker und Mönche, man reitet auf Eseln und geht kurze Strecken zu Fuss, des Öfteren werden Andachten gehalten und heilige Messen gefeiert … Am Schluss ihres ausführlichen Briefberichts für ihre «Mitschwestern» in Spanien, den sie auf dem Rückweg in Konstantinopel verfasst, deutet Etheria an, auf der Heimreise vielleicht noch Ephesus «und andere Stätten» zu besuchen. Wahrlich eine Pilgerin der Extraklasse.

Boris Schlüssel

 

Das Vereinsorgan im Wandel der Zeit

Vom «Werbebrief» zum Informationsbulletin

Wer die 120 Jahre SHLV-Geschichte nachzeichnen will, befasst sich unweigerlich mit dem Vereinsorgan «Pilgerbrief» – dem heutigen «Heiliges Land». Stand in den Anfangsjahren Mitglieder- und Pilgerreise-Werbung im Zentrum, bekamen später «Lageberichte» aus dem Heiligen Land, dann bibelarchäologische Artikel und schliesslich aktuelle Hilfsprojekte mehr
Gewicht. Ein unvollständiger – und viel zu kurzer – Überblick.

 

1905 erschien der erste «Pilgerbrief des Vereins Schweizerischer Jerusalem-­Pilger» und wurde allen Vereinsmitgliedern und allen ehemaligen Pilgerinnen und Pilgern zugeschickt – 1903 hatte der Verein die erste «Schweize­rische Volkswallfahrt ins Heilige Land» mit über 500 Teilnehmenden organisiert. Die jährlich zwei bis vier Pilgerbrief-­Ausgaben informierten fortan über alle Ein- und Austritte sowie Todesfälle von Vereinsmitgliedern. Zwar standen damals die Werbung von Neumitgliedern und die Einladung zu den Heiligland-­Reisen im Vordergrund, dennoch waren schon in den frühesten Ausgaben Berichte über die aktuelle Lage und die Entwicklungen in Palästina zu lesen.

Die «katholische Perspektive» im Wandel

Die politische Einordnung der Ereignisse im Nahen Osten hat sich – aus «katholischer» Perspektive – im Lauf der Jahrzehnte grundlegend gewandelt. Manuela Specker hat diese inhaltlichen Entwicklungen in den Pilgerbriefen im Rahmen ihres Geschichtsstudiums näher untersucht: «Wie die Analyse des ‹Pilger-Briefs› zeigte, stand die Beurteilung des Islams und des Judentums jeweils in einem engen Zusammenhang mit der Sorge um die katholischen Einrichtungen in Palästina». Interessanterweise stellte der Islam in den Pilgerbriefen bis 1972 (Untersuchungszeitraum) nie ein Feindbild dar, im Gegenteil: die Sorge der Muslime um ihre grossartigen Bauwerke wurde zum Gegenbild der christlichen Kirchen, die ihre hei­ligen Stätten dem Verfall überlassen würden.

Vom ersten Pilger-Brief (1905) bis zum letzten (1976)

Zunehmend negativ wurde in den Pilgerbriefen über die jüdische Bevölkerung in Palästina berichtet, da «das Judentum» nach der Balfour-Deklaration von 1917 als Gegenspieler der Christen im Hei­ligen Land wahrgenommen wurde – auch im Vereinsorgan des Schweizerischen Heiligland-Vereins kam immer wieder die Angst zum Ausdruck, die jüdische Bevölkerung würde, einmal an der Macht, die Christen aus dem Land «vertreiben». Wie sich auch in den Spalten der Pilgerbriefe noch in den 1950er Jahren der vorkonziliare katholische Antisemitismus – mal auch als Antizionismus, mal als Antijudaismus – gezeigt hat, würde eine ausführlichere Darstellung verdienen.

Vom Geist des Konzils inspiriert

Dass die theologische und spirituelle Befindlichkeit im katholischen Milieu der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine ganz andere war, zeigt exemplarisch ein Pilgerbrief-Zitat von 1906, wo «der Heiliglandpilger» glücklich gepriesen wird, weil er sich «die diesbezüglichen Personen und Örtlichkeiten nicht bloss weit richtiger, sondern auch viel lebhafter vorstellt: weiss er doch z. B. ganz genau die Stelle, wo das göttliche Kind zur Welt kam, wo es in der Krippe lag, wo die drei Könige knieten u. dgl.». Welch fulminanter, ja fundamentaler Unterschied zum bibelarchäologischen und bibeltheologischen Zugang zu den heiligen Stätten, den Walter Bühlmann als Redaktor der Vereinszeitschrift «Heiliges Land» in den 1970er Jahren den Leserinnen und Lesern aufzeigte (siehe Interview Seite 9, Zeitschrift Heiligland 3/2021).

Das Zweite Vatikanische Konzil brachte in den sechziger Jahren für die Ka­tholikinnen und Katholiken in man­cherlei Hinsicht eine «kopernikanische Wende» – insbesondere im Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen. Schon 1965 schlug sich diese «neue Perspektive» auch im SHLV-Vereins­organ nieder: Pfarrer und Redaktor Johannes Täschler betonte die Gemeinsamkeiten der drei monotheistischen Religionen und bemühte sich, Vorurteile abzubauen. Die grundlegende Reor­ganisation des Schweizerischen Heiligland-Vereins in den Jahren nach dem Konzil – u.a. die Errichtung einer eigenen Geschäftsstelle in Luzern – wirkte sich auch sicht- und lesbar auf das Vereins­organ aus: Aus den Pilgerbriefen wurde Anfang der 1970er Jahre die Vereinszeitschrift «Heiliges Land», die schliesslich nicht mehr von einem «Alleinredaktor», sondern von einem Redaktionsteam verantwortet wurde.

Die Zeitschrift «Heiliges Land» seit 1973 in ihren verschiedenen Erscheinungsformen

Lebenswichtig für unseren Verein

Die Pilgerbriefe und die Zeitschrift «Heiliges Land» waren inhaltlich stets geprägt von den – ganz unterschiedlichen – Persönlichkeiten der Redaktoren und den Mitgliedern des Redaktionsteams. Immer wieder kam es auch zu «Krisensituationen», die den Fortbestand der Zeitschrift in Frage stellten, weil zum Beispiel kein Nachfolger für den Redaktorenposten zu finden war oder weil ein inhaltlicher «Generationenwechsel» anstand. Erfreulicherweise wurden jeweils neue Kräfte gefunden, welche dieser für den Schweizerischen Heiligland-Verein wichtigen – lebenswichtigen – Zeitschrift eine Zukunft ermöglichten … genauso wie alle Autorinnen und Autoren, und natürlich Sie, liebe Leserin, lieber Leser!  Boris Schlüssel

Boris Schlüssel

 

Quellen: Judith von Ah, Kirchengeschichtlicher Rückblick auf die 100-jährige Tätigkeit des Schwei­zerischen Heiligland-Vereins. Theologische Fakultät Luzern, 2000; Manuela Specker, «Das gelobte Land verjudet». Die Beschreibung und Beurteilung des Islams und des Judentums im katholischen Vereins­organ «Pilger-Brief» (1905 –1972) des Schweizerischen Heiligland-Vereins. Universität Fribourg, 2011.

Ein katholisches Hilfswerk im Wandel

Vom Pilgerbüro zu einer modernen Spendenorganisation

Die «ordentliche» Vereinsmitgliedschaft war zunächst ehemaligen Jerusalem­pilgern vorbehalten. Der Schweizerische Heiligland-Verein war in seinen Anfängen ein typisches Phänomen des katholischen «Milieus», ein sehr erfolgreiches: nach sechs Jahren zählte der Verein bereits 2000 Mitglieder, nach 25 Jahr sogar 8000! Unterdessen ist aus dem konfessionellen Mitglieder­verein eine moderne Spendenorganisation geworden.

Pilgerfahne des Schweizerischen Jerusalem-Pilgervereins, Vorderund Rückseite
Pilgerfahne des Schweizerischen Jerusalem-Pilgervereins, Vorderund Rückseite.

Wer die Entwicklung des Schweizerischen Heiligland-Vereins – insbesondere die Mitgliederzahlen – in den vergangenen 120 Jahren verstehen will, sollte sich die «Ausgangslage» zur Gründungszeit vor Augen führen. Die kirchengeschichtliche Diplomarbeit, die unseren Jubiläumsartikeln im Wesentlichen zugrunde liegt, zeichnet im Kapitel «Der Katholizismus in der Schweiz» ein aufschlussreiches Bild: Infolge des Wandels hin zu einer bürgerlich-industriellen Gesellschaft und damit verbundenen fundamentalen Veränderungen in Struktur und Funktion «des Christentums», heisst es da, habe die katholische Teiltradition im 19. Jahrhundert eine eigene Sozialform entwickelt. Dieser «moderne Katholizismus» zeichnete sich vor allem aus durch eine «möglichst umfassende Einbindung» der Katholikinnen und Katholiken in eine ab- und ausgrenzende konfessionelle Gruppe. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war dieses «katholische Milieu» voll auf- und ausgebaut: Es gab nicht nur katholische Turn-, Musik-, Jugend- und Frauenvereine, sondern auch konfessionelle Schulen, Seminare und andere Ausbildungsstätten, zudem die katholische Presse, eine katholische Krankenkasse, die Katholisch-Konservative Partei und erstmals auch Katholikentage in der Schweiz.

Das erste Komitee des Vereins Schweizerischer Jerusalempilger: Pfarrhelfer Albert Karli, Dr. med. Emil Pestalozzi-Pfyffer und Pfarrer Niklaus Bättig.

Für 20 Franken immerwährend dabei

In dieser Zeit der katholischen Sondergesellschaft entstand auch der «Verein Schweizerischer Jerusalempilger» (VSJP): Am 28. August 1900 trafen sich die fünf Vereinsgründer erstmals in Baden am Rand eines nationalen Festes des katholischen (!) Schweizerischen Studentenvereins (StV). Nach der feierlichen VSJP--Gründung am 28. Oktober 1901 in Zürich schrieben sich innert fünf Jahren 1055 Personen in die Mitgliederliste ein, nur ein Jahr später waren es bereits 2000 Mitglieder. Es gab drei Arten der Mitgliedschaft: die ehemaligen Jerusalempilgerinnen und -pilger waren «ordentliche Mitglieder», «ausserordentliche Mitglieder» waren noch nicht ins Heilige Land gepilgert, schliesslich konnten auch «Ehrenmitglieder» ernannt und vom bescheidenen Jahresbeitrag von einem Franken befreit werden. Mit einem einmaligen Beitrag von 20 Franken konnte die «Immerwährende Mitgliedschaft» erworben werden.

Die erste schweizerische Heiliglandfahrt 1903; hier beim Einsteigen in Feldkirch.
Die erste schweizerische Heiliglandfahrt 1903; hier beim Einsteigen in Feldkirch.

Ablässe und Bibelausstellungen

In vielen Dörfern und Quartieren waren so genannte «Vertrauenspersonen» im Einsatz, die von Tür zu Tür den Mitgliederbeitrag einzogen und das Vereins-organ «Pilgerbrief» verteilten. Vor allem die persönliche Mund-zu--Mund-Wer-bung innerhalb des katholischen «Mi-lieus» liess den Verein innert 25 Jahren auf sagenhafte 8000 Mitglieder anwachsen. Aus katholischer Perspektive ein bewegtes Vierteljahrhundert: Während 1908 Papst Pius X. in einem Schreiben dem VSJP eine bedeutende Anzahl heiliger Ablässe – etwa für jedes Vereins-mit-glied «in der Todesstunde» – gewährte, wurde im Zuge des katholischen «Kultur-Frühlings» im Jahr 1938 das katholische Bibelwerk ins Leben gerufen. Fortan gab es Bibelkurse, Bibel-aus-stel-lungen, Bibelgruppen und Bibelkalender – diese «Bibelinitiative» der Bischöfe strahlte auf die Seelsorge und Gläubige aus.

Auch das bis anhin hermetisch abgeschlossene katholische Milieu erlebte in jenen Jahren erste Öffnungen. So entstanden auch wieder Kontakte zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen konservativen und liberalen Bürgerinnen. Während der Jahre des Zweiten Weltkriegs sanken die Mitgliederzahlen auf unter 6000, stiegen nochmals etwas an und nahmen dann kontinuierlich ab, bis der Schweizerische Heiligland--Verein 2001 zum 100-Jahr-Jubiläum «nur» noch 2100 Mitglieder zählte.

Heute ist der Mitgliederbeitrag auf 60 Franken gestiegen, die «immerwährende Mitgliedschaft» längst nicht mehr möglich. Aus dem typischen konfessionellen Mitgliederverein ist eine moderne Spenderorganisation mit 531 Einzel- und Kollektivmitgliedern (Pfarreien) geworden, ein kleines, engagiertes Hilfswerk – ein katholisches notabene!

Boris Schlüssel

Quelle: Judith von Ah hat einen kirchen­geschicht­lichen Rückblick auf die 100-jährige Tätigkeit des Schweize­rischen Heiligland-­Vereins verfasst und diesen im Jahr 2000 als Diplomarbeit bei Professor Dr. Markus Ries an der Theologischen Fakultät in Luzern eingereicht. Dieser Bericht stützt sich auf ihre Recherchen.

Leo Häfeli – Stadtpfarrer und Privatdozent

Eine spannende Persönlichkeit der Gründerzeit

Der «Verein Schweizerischer Jerusalempilger» verhalf dem späteren Stadtpfarrer von Baden zu seiner ersten Forschungsreise ins Heilige Land. Eine Seminararbeit beleuchtet Dr. Leo Häfeli (1885–1948), sein Leben und sein Wirken – ein hochbegabter «Orientalist» und eine spannende Persönlichkeit aus den Anfängen des Schweizerischen Heiligland-Vereins.

Am 18. April 1885 kam im aargauischen Klingnau der kleine Leo zur Welt. Über seine Kindheit und Jugend «in bürgerlichen Verhältnissen» ist wenig bekannt – sicher aber ist, dass der begabte Junge das Gymnasium mit Auszeichnung abschloss. Danach folgte das Theologiestudium in Freiburg im Breisgau und in Tübingen. Bereits mit 23 Jahren wurde Leo Häfeli zum Priester geweiht und trat seine erste Stelle als Pfarrhelfer in Bad Zurzach an.

 

Pfarrer Leo Häfeli (1933) Historisches Museum Baden, Fotohaus Zipser
Pfarrer Leo Häfeli (1933)
Historisches Museum Baden, Fotohaus Zipser

 

Sprachgenie mit zwei Doktortiteln
Neben seiner kirchlichen Laufbahn als Priester und Seelsorger war Häfelis Leben aber stets ebenso stark bestimmt von seiner Faszination und Leidenschaft für die Sprachen und Kulturen des «alten Orients». Hervorragende Kenntnisse in Arabisch, Assyrisch, Griechisch, He-brä-isch und Syrisch sowie kompetenten Gebrauch von Latein, Englisch und Französisch attestiert ihm Damian Troxler in seiner Seminararbeit, die er im Sommer 2022 am Departement für Zeitgeschichte der Universität Fribourg eingereicht hat.

Da verwundert es nicht, dass Leo Häfeli nach seiner Pfarrhelfer-Zeit gleich zwei Doktortitel erworben hat: in Philosophie in Tübingen und in Theologie in Freiburg im Breisgau. Seine ersten Publikationen befassten sich mit Samaria und Peräa. Häfeli forschte und schrieb über diese Landstriche im «Heiligen Land», ohne je dort gewesen zu sein.

Ein grosser Traum geht in Erfüllung
Dass der junge Geistliche längst von einer ausgedehnten Forschungsreise in den Nahen Osten träumte, lässt sein Wechsel ans Päpstliche Bibelinstitut in Rom erahnen. Leider zerschlugen sich die weit gediehenen Pläne bald durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges – der Schweizer musste in seine Heimat zurückkehren, wo er als Pfarrer in Würenlos wirkte. Schliesslich verhalf ihm ein vom «Verein Schweizerischer Jerusalempilger» – dem heutigen Heiligland-Verein – vermitteltes Stipendium zur ersten Reise «nach dem Morgenlande», wie Häfeli in seiner Publikation «Ein Jahr im Heiligen Land» begeistert und dankbar festhielt: «… dass es mir vergönnt war, … meine seit bald zwanzig Jahren betriebenen orientalischen Studien fast ein ganzes Jahr lang durch unmittelbaren Augenschein zu vertiefen …».

Leo Häfelis Buch «Ein Jahr im heiligen Land» Druck und Verlag, Räber & Cie. , Luzern 1924
Leo Häfelis Buch «Ein Jahr im heiligen Land»
Druck und Verlag, Räber & Cie. , Luzern 1924

Auch Vermittler zwischen den Kulturen
Nach diesem «Forschungsjahr» folgten einschlägige Publikationen im Jahres-takt – etwa über Cäsarea am Meer, Flavius Josephus, Syrien und den Libanon. Häfelis Forschungen erregten über Europa hinaus Aufmerksamkeit und brachten ihn schliesslich als Privat-dozent an die Universität Zürich. Nun mehr als – ebenso geschätzter und umtriebiger – Stadtpfarrer von Baden dozierte er in Zürich Syrisch, Palästinensisch-Arabisch und über die Kultur des Heiligen Landes zur Zeit Jesu. Damian Troxler zeigt schlüssig auf, dass Leo -Häfelis Sicht auf Länder und Menschen des Nahen Ostens nicht vorschnell mit dem negativen Etikett «Orientalismus» (stereotype, westlich «beschränkte» Wahrnehmung der kulturellen Vielfalt) abqualifiziert werden darf. Dass das Urteil differenzierter ausfallen muss, beweisen die Zeilen der Israelitischen Kultusgemeinde Baden über den allzu früh verstorbenen Stadtpfarrer: «… dessen Menschenliebe und Herzensgüte keinen Unterschied unter den Konfes-sionen kennt».

Boris Schlüssel

 

Am Anfang stand ein über 500-köpfiger Pilgerzug nach Jerusalem

120 Jahre Schweizerischer Heiligland-Verein

Die Vereinsgeschichte des Schweizerischen Heiligland-Vereins reflektiert die vielfältigen kirchlichen, gesellschaftlichen, lokal- und weltpolitischen Veränderungen des 20. Jahrhunderts – sowohl in der Schweiz als auch in Palästina und im Nahen Osten. Zum Auftakt unseres 120-Jahr-Jubiläums werfen wir einige Blitzlichter auf das spannende Werden und Wirken des «Verein Schweizerischer Jerusalempilger».

Als der Vitznauer Pfarrer Niklaus Bättig am 28. Oktober 1901 zusammen mit zehn weiteren Jerusalempilgern – allesamt Kleriker – in Zürich den «Verein Schweizerischer Jerusalempilger» (VSJP) gründete, nannte er als Vereinszweck: Kenntnis des Heiligen Landes, Freundschaft der Jerusalempilger, Abhaltung von Volkswallfahrten, Unterstützung von Priestern, die das Heilige Land studieren wollen, Weckung des Interesses für die katholischen Werke Palästinas und das Gebet für Palästina. Nach Festlegung der Statuten und Konstituierung des Vorstands machte man sich sogleich daran, einen «Schweizerischen Pilgerzug» ins Heilige Land zu planen. Die Umsetzung dieses Vorhabens nahm jedoch noch fast zwei Jahre in Anspruch.

 

120 Jahre Schweizerischer Heiligland-Verein – Pilgerinnen und Pilger der Jungfrauen­kongregation aus Steinerberg.
Pilgerinnen und Pilger der Jungfrauen­kongregation aus Steinerberg.

 

Mobile Altäre auf dem Hinterdeck
An der ersten «Schweizerischen Volkswallfahrt ins Heilige Land» im September 1903 nahmen 515 Pilgernde teil – darunter 170 Frauen und 121 Priester. Die Pilgerschar wurde in fünf nach Kantonen geordnete Gruppen eingeteilt, die jeweils von einem «Gruppenspiritual» geleitet wurden. Zwei Drittel der dreiwöchigen Reise verbrachten die Pilgerinnen und Pilger an Bord eines Schiffes auf dem Mittelmeer, wo auf dem Hinterdeck täglich ab vier Uhr morgens an zwölf mobilen Altären Heilige Messen zelebriert wurden. Nur gerade acht Tage dauerte der Aufenthalt in Jerusalem, der von Besuchen an heiligen Stätten sowie Andachten und Gottesdiensten geprägt war. Auf eigene Rechnung konnten die Wallfahrenden einen Tagesausflug nach Emmaus, Hebron, Jericho und ans Tote Meer unternehmen.

 

120 Jahre Schweizerischer Heiligland-Verein – Zweite Gruppe von fünf für die erste Schweizer Heiliglandfahrt.
Zweite Gruppe von fünf für die erste Schweizer Heiliglandfahrt.

 

1908 drohte die zweite «Schweizerische Heiliglandfahrt» an zu geringer Beteiligung zu scheitern – im Vereinsorgan «Pilgerbrief» redete der Vorstand den Mitgliedern ins Gewissen: «… es wäre in der Tat eine Schmach, wenn wir nicht 500 katholische Schweizer für Jerusalem aufbrächten! So viel Begeisterung für die heiligsten Stätten der Erde wird hoffentlich noch in unserm Vaterlande zu finden sein!» Schliesslich trafen die nötigen 500 Anmeldungen ein und die grosse Pilgerschar konnte ins Heilige Land aufbrechen. Die für 1913 geplante, schliesslich auf 1914 verschobene dritte «Schweizerische Heiliglandfahrt» konnte wegen mangelndem Interesse und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht mehr stattfinden.

Zeitschrift im Wandel
Die Heiliglandfahrten bildeten während Jahren einen zentralen Inhalt des «Pilgerbrief». In den zwei bis vier jährlichen Ausgaben wurden ausführliche Reiseberichte publiziert und intensiv für die Teilnahme an der nächsten Pilgerreise geworben. Von Anfang an gehörten auch Berichte über die Geschehnisse in Palästina zu den Inhalten des «Pilgerbrief». So informierte zum Beispiel der Schweizer Benediktinerpater Mauritius Gisler, der in den 1930er Jahren in der Dormitio Mariae auf dem Zionsberg in Jerusalem lebte, regelmässig über die Situation in der Stadt und in der Region. Später kamen immer mehr auch «einheimische» Stimmen dazu, zumeist Vertreter der römisch-katholischen oder einer orientalischen Kirche.

 

120 Jahre Schweizerischer Heiligland-Verein – Ausschiffung in Jaffa
Ausschiffung in Jaffa

 

Die Mitgliederzeitschrift hatte im Laufe der Jahrzehnte ganz unterschiedliche Gesichter, stets abhängig von der Persönlichkeit und den Interessen des Redaktionsteams. Als der «Pilgerbrief» 1972 neu konzipiert und fortan «Heiliges Land» genannt wurde, übernahm der Bibelwissenschaftler Walter Bühlmann die Leitung und setzte während zehn Jahren stark auf die Vermittlung von «Orten und Umwelt der Bibel». Später standen mehr und mehr die aktuellen Hilfsprojekte des Vereins und die konkrete Lebenssituation der christlichen Gemeinden und Gemeinschaften im Nahen Osten im Fokus der Zeitschrift.

8000 Mitglieder nach 25 Jahren
Wichtiges «Pilgerbrief»-Thema war stets auch das Werben neuer Mitglieder. Der erste Aktuar und Redaktor, Pfarrhelfer Dominik Kreienbühl, setzte mit detaillierten Statistiken auf den «Wettbewerb unter den Kantonen»: So erreichte der Kanton Zug im Jahr 1905 die verhältnismässig grösste Mitgliederzahl, weil von 119 Katholikinnen und Katholiken eine Person Mitglied des VSJP war!
Das erste Viertel der Vereinsgeschichte war denn auch bezüglich Mitgliederzahl eine Erfolgsgeschichte: 1910 traten mehr als 1000 Personen bei und im Jubiläumsjahr 1926 umfasste die Mit­gliederliste rund 8000 Namen. Weil die unsichere politische Lage und die kriegerischen Auseinandersetzungen über Jahre Volkswallfahrten in den Nahen Osten verunmöglichten, fehlte dem Verein – seit 1919 «Schweizerischer Heiligland-Verein» (SHLV) – die wichtigste Möglichkeit der Mitgliederwerbung. Nach dem Zweiten Weltkrieg zählte der SHLV noch 6000 Mitglieder, 1990 waren es 3000 und heute sind es noch 550. Bis 1958 betrug der Mitgliederbeitrag übrigens 1 bzw. 1.50 Franken, später zwischen 2 und 5 Franken. 1973 wurde die «immerwährende Mitgliedschaft» abgeschafft und der Mitgliederbeitrag auf 10 Franken erhöht. Heute sind es 60 Franken.

Wo die drei Könige niederknieten
Als eindrückliches Beispiel für die Veränderung «der Weltsicht» seit den Anfängen des SHLV sei zum Schluss aus dem Pilgerbrief Nr. 6 (1906) zitiert, wo das Glück des Jerusalempilgers gepriesen wird, der sich in Bethlehem mit eigenen Augen ein Bild von den weihnächtlichen Geschehnissen machen kann: «Beim Jerusalempilger nämlich sind jene unrichtigen Vorstellungen, welche er sich von Kindheit auf besonders hinsichtlich des Ortes der Geburt Jesu gemacht hatte, jetzt gründlich korrigiert (z. B. der obligate «Stall» mit dem Strohdach) (…) die diesbezüglichen Personen und Örtlichkeiten stellt er sich nicht bloss weit richtiger, sondern auch viel lebhafter vor: weiss er doch z. B. ganz genau die Stelle, wo das göttliche Kind zur Welt kam, wo es in der Krippe lag, wo die drei Könige knieten u. dgl.»

Boris Schlüssel, Oberwil ZG

 

Aufgearbeitet und eingeordnet
Dieser Artikel konnte dank der aufschlussreichen Diplomarbeit von Judith von Ah aus Thun verfasst werden. Die Theologin hat ihre Abschlussarbeit mit dem Titel «Kirchengeschicht­licher Rückblick auf die 100-jährige Tätigkeit des Schweizerischen Heiligland-­Vereins» im April 2000 bei Prof. Dr. Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte an der Theo­logischen Fakultät Luzern, ein­gereicht.

«Vereinsgeschichte» in französischer Sprache (PDF)
«Vereinsgeschichte» in italienischer Sprache (PDF)

 

Die ersten Pilgerinnen und Pilger berichten

Immer nach der Heiligen Schrift

Pilgern und Wallfahrten sind Phänomene, die lange vor dem Christentum in vielen Kulturen auftauchen – auch im Judentum und in der griechisch-römischen Antike. Die christliche Heiligland-Wallfahrt konnte sich erst ab dem 4. Jahrhundert entwickeln. Ein Blick in die ältesten christlichen «Pilgerberichte».

 

Das Phänomen des Pilgerns im frühen Christentum wurde – wenig erstaunlich – stark geprägt von den jüdischen Wallfahrten zum Jerusalemer Tempel und den Pilgerströmen zu den kleinen und grossen Heiligtümern der grie­chisch-­römischen Antike. Einen starken Einfluss übte auch die Wallfahrtpraxis im vorislamischen arabischen Bereich aus: Die nomadisierenden Stämme versammelten sich im Frühling und Herbst zu Wallfahrtsfesten, die als «Jahrmärkte» vor allem ökonomisch, politisch und sozial von grosser Bedeutung waren. Hier wurde auch Gericht gehalten, wurden Urteile vollzogen, Verträge geschlossen. Neben religiösen Kultorten an Quellen, Bäumen, Steinstelen oder auf Bergen waren auch die Grabstätten «grosser Ahnen» Zielorte dieser Wallfahrtsfeste.

Kaiser Konstantin baute «neues Jerusalem»

Die ersten Christinnen und Christen pilgerten «weiterhin» nach Jerusalem zu den jüdischen Wallfahrtsfesten – zum Paschafest an Ostern oder zum Wochenfest an Pfingsten. Die Spannungen zwischen den judenchristlichen und den heidenchristlichen Strömungen, die Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 nach Christus und die Diskriminierung und phasenweise Verfolgung von Juden und Christen im römischen Reich liessen eine «christ­liche» Heiligland-Pilgerfahrt zunächst gar nicht entstehen. Erst im 4. Jahrhundert gewannen Jerusalem als «Heilige Stadt» und Palästina als «Heiliges Land» für die Christenheit wieder religiöse und theologische Bedeutung. Kaiser Konstantin verwandelte durch seine rege Bautätigkeit das «alte Jerusalem» in ein «neues Jerusalem», in deren Zentrum die christliche Auferstehungskirche steht. Damals begannen die ersten christlichen Pilgerinnen und Pilger die heiligen Stätten im Heiligen Land aufzusuchen.

Pilgerzugsleitung: Dritte schweizerische Volkswallfahrt ins Heilige Land, April–Mai 1925

Eine ungeheure Interessenvielfalt

Dass von den ersten Palästina-Pilgernden kaum Zeugnisse existieren, hat verschiedene Gründe: Viele Christinnen und Christen gehörten zu den unter­privilegierten Schichten der Gesellschaft und konnten sich eine Pilgerreise nicht leisten. Eine Reise in den Orient bedeutete nicht nur eine finanzielle Herausforderung, sondern stellte auch höchste Ansprüche an die körperliche und geistige Verfassung. Davon berichtet der älteste lateinische Pilgerbericht, das «Itinerarium Burdigalense»: Der namenlose Pilger aus Bor­deaux machte sich im Frühling 333 auf ins Heilige Land und kehrte ein Jahr später zurück. In seinem «staubtrockenen» Reisebericht hat er sich für Hin- und Rückreise darauf beschränkt, die Namen aller römischen Poststationen aufzuzählen, dazu die Entfernungen in gallischen bzw. römischen Meilen. Dass der zahlenaffine Pilger mit dem «cursus publicus» – der hervorragend organisierten römischen Post – reisen konnte, deutet darauf hin, dass er ein römischer Bürger war, vielleicht sogar ein Staatsbeamter. Viel gesprächiger war in seinen Reisenotizen der – ebenfalls anonyme – «Pilger von Piacenza», der um 570 das Heilige Land besuchte. Er beeindruckt mit seiner ungeheuren Interessenvielfalt, die sich in seinem spannenden Reise­bericht wiederspiegelt: Charakter und Lebensverhältnisse der Menschen, Handel und Gewerbe, Landwirtschaft und Gartenbau, Landschaft, Kultur und Medizin. Sein Bericht gibt einen eindrücklichen Überblick über die christlichen Gebräuche und kirchlichen Bauten im Palästina des 6. Jahrhunderts und in den Nachbarländern – allein 43 Heiligengräber werden aufgeführt, zudem eine ausführliche Reliquienliste.

Einzug in die Heilig-Grab-Kirche, April–Mai 1925

Vier Jahre waren nicht genug

Der «Shooting Star» unter den frühen Palästina-Pilgernden ist aber Etheria (oder Egeria), die im späten 4. Jahrhundert eine fast vierjährige Pilgerreise durch Palästina, ins Ostjordanland und nach Syrien, in den Sinai und nach Ägypten unternommen hat – schliesslich machte sie noch einen «Abstecher» nach Mesopotamien. Die vermutlich aus Spanien stammende «fromme Dame» gestaltete ihre Reise «semper iuxta scripturas» – immer nach der Heiligen Schrift! Unermüdlich pilgerte Etheria von Pilgerstätte zu Pilgerstätte, fragte ihre «local guides» pausenlos und un­erbittlich nach konkreten Spuren des heiligen Geschehens. Ihre Pilgerreise erinnert an die «Schweizer Heiliglandfahrten» des jungen «Vereins schweizerischer Jerusalempilger»: Etheria reist nie allein, die Pilgergruppen führen ortsansässige Kleriker und Mönche, man reitet auf Eseln und geht kurze Strecken zu Fuss, des Öfteren werden Andachten gehalten und heilige Messen gefeiert … Am Schluss ihres ausführlichen Briefberichts für ihre «Mitschwestern» in Spanien, den sie auf dem Rückweg in Konstantinopel verfasst, deutet Etheria an, auf der Heimreise vielleicht noch Ephesus «und andere Stätten» zu besuchen. Wahrlich eine Pilgerin der Extraklasse.

Boris Schlüssel

 

Das Vereinsorgan im Wandel der Zeit

Vom «Werbebrief» zum Informationsbulletin

Wer die 120 Jahre SHLV-Geschichte nachzeichnen will, befasst sich unweigerlich mit dem Vereinsorgan «Pilgerbrief» – dem heutigen «Heiliges Land». Stand in den Anfangsjahren Mitglieder- und Pilgerreise-Werbung im Zentrum, bekamen später «Lageberichte» aus dem Heiligen Land, dann bibelarchäologische Artikel und schliesslich aktuelle Hilfsprojekte mehr
Gewicht. Ein unvollständiger – und viel zu kurzer – Überblick.

 

1905 erschien der erste «Pilgerbrief des Vereins Schweizerischer Jerusalem-­Pilger» und wurde allen Vereinsmitgliedern und allen ehemaligen Pilgerinnen und Pilgern zugeschickt – 1903 hatte der Verein die erste «Schweize­rische Volkswallfahrt ins Heilige Land» mit über 500 Teilnehmenden organisiert. Die jährlich zwei bis vier Pilgerbrief-­Ausgaben informierten fortan über alle Ein- und Austritte sowie Todesfälle von Vereinsmitgliedern. Zwar standen damals die Werbung von Neumitgliedern und die Einladung zu den Heiligland-­Reisen im Vordergrund, dennoch waren schon in den frühesten Ausgaben Berichte über die aktuelle Lage und die Entwicklungen in Palästina zu lesen.

Die «katholische Perspektive» im Wandel

Die politische Einordnung der Ereignisse im Nahen Osten hat sich – aus «katholischer» Perspektive – im Lauf der Jahrzehnte grundlegend gewandelt. Manuela Specker hat diese inhaltlichen Entwicklungen in den Pilgerbriefen im Rahmen ihres Geschichtsstudiums näher untersucht: «Wie die Analyse des ‹Pilger-Briefs› zeigte, stand die Beurteilung des Islams und des Judentums jeweils in einem engen Zusammenhang mit der Sorge um die katholischen Einrichtungen in Palästina». Interessanterweise stellte der Islam in den Pilgerbriefen bis 1972 (Untersuchungszeitraum) nie ein Feindbild dar, im Gegenteil: die Sorge der Muslime um ihre grossartigen Bauwerke wurde zum Gegenbild der christlichen Kirchen, die ihre hei­ligen Stätten dem Verfall überlassen würden.

Vom ersten Pilger-Brief (1905) bis zum letzten (1976)

Zunehmend negativ wurde in den Pilgerbriefen über die jüdische Bevölkerung in Palästina berichtet, da «das Judentum» nach der Balfour-Deklaration von 1917 als Gegenspieler der Christen im Hei­ligen Land wahrgenommen wurde – auch im Vereinsorgan des Schweizerischen Heiligland-Vereins kam immer wieder die Angst zum Ausdruck, die jüdische Bevölkerung würde, einmal an der Macht, die Christen aus dem Land «vertreiben». Wie sich auch in den Spalten der Pilgerbriefe noch in den 1950er Jahren der vorkonziliare katholische Antisemitismus – mal auch als Antizionismus, mal als Antijudaismus – gezeigt hat, würde eine ausführlichere Darstellung verdienen.

Vom Geist des Konzils inspiriert

Dass die theologische und spirituelle Befindlichkeit im katholischen Milieu der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine ganz andere war, zeigt exemplarisch ein Pilgerbrief-Zitat von 1906, wo «der Heiliglandpilger» glücklich gepriesen wird, weil er sich «die diesbezüglichen Personen und Örtlichkeiten nicht bloss weit richtiger, sondern auch viel lebhafter vorstellt: weiss er doch z. B. ganz genau die Stelle, wo das göttliche Kind zur Welt kam, wo es in der Krippe lag, wo die drei Könige knieten u. dgl.». Welch fulminanter, ja fundamentaler Unterschied zum bibelarchäologischen und bibeltheologischen Zugang zu den heiligen Stätten, den Walter Bühlmann als Redaktor der Vereinszeitschrift «Heiliges Land» in den 1970er Jahren den Leserinnen und Lesern aufzeigte (siehe Interview Seite 9, Zeitschrift Heiligland 3/2021).

Das Zweite Vatikanische Konzil brachte in den sechziger Jahren für die Ka­tholikinnen und Katholiken in man­cherlei Hinsicht eine «kopernikanische Wende» – insbesondere im Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen. Schon 1965 schlug sich diese «neue Perspektive» auch im SHLV-Vereins­organ nieder: Pfarrer und Redaktor Johannes Täschler betonte die Gemeinsamkeiten der drei monotheistischen Religionen und bemühte sich, Vorurteile abzubauen. Die grundlegende Reor­ganisation des Schweizerischen Heiligland-Vereins in den Jahren nach dem Konzil – u.a. die Errichtung einer eigenen Geschäftsstelle in Luzern – wirkte sich auch sicht- und lesbar auf das Vereins­organ aus: Aus den Pilgerbriefen wurde Anfang der 1970er Jahre die Vereinszeitschrift «Heiliges Land», die schliesslich nicht mehr von einem «Alleinredaktor», sondern von einem Redaktionsteam verantwortet wurde.

Die Zeitschrift «Heiliges Land» seit 1973 in ihren verschiedenen Erscheinungsformen

Lebenswichtig für unseren Verein

Die Pilgerbriefe und die Zeitschrift «Heiliges Land» waren inhaltlich stets geprägt von den – ganz unterschiedlichen – Persönlichkeiten der Redaktoren und den Mitgliedern des Redaktionsteams. Immer wieder kam es auch zu «Krisensituationen», die den Fortbestand der Zeitschrift in Frage stellten, weil zum Beispiel kein Nachfolger für den Redaktorenposten zu finden war oder weil ein inhaltlicher «Generationenwechsel» anstand. Erfreulicherweise wurden jeweils neue Kräfte gefunden, welche dieser für den Schweizerischen Heiligland-Verein wichtigen – lebenswichtigen – Zeitschrift eine Zukunft ermöglichten … genauso wie alle Autorinnen und Autoren, und natürlich Sie, liebe Leserin, lieber Leser!  Boris Schlüssel

Boris Schlüssel

 

Quellen: Judith von Ah, Kirchengeschichtlicher Rückblick auf die 100-jährige Tätigkeit des Schwei­zerischen Heiligland-Vereins. Theologische Fakultät Luzern, 2000; Manuela Specker, «Das gelobte Land verjudet». Die Beschreibung und Beurteilung des Islams und des Judentums im katholischen Vereins­organ «Pilger-Brief» (1905 –1972) des Schweizerischen Heiligland-Vereins. Universität Fribourg, 2011.

Ein katholisches Hilfswerk im Wandel

Vom Pilgerbüro zu einer modernen Spendenorganisation

Die «ordentliche» Vereinsmitgliedschaft war zunächst ehemaligen Jerusalem­pilgern vorbehalten. Der Schweizerische Heiligland-Verein war in seinen Anfängen ein typisches Phänomen des katholischen «Milieus», ein sehr erfolgreiches: nach sechs Jahren zählte der Verein bereits 2000 Mitglieder, nach 25 Jahr sogar 8000! Unterdessen ist aus dem konfessionellen Mitglieder­verein eine moderne Spendenorganisation geworden.

Pilgerfahne des Schweizerischen Jerusalem-Pilgervereins, Vorderund Rückseite
Pilgerfahne des Schweizerischen Jerusalem-Pilgervereins, Vorderund Rückseite.

Wer die Entwicklung des Schweizerischen Heiligland-Vereins – insbesondere die Mitgliederzahlen – in den vergangenen 120 Jahren verstehen will, sollte sich die «Ausgangslage» zur Gründungszeit vor Augen führen. Die kirchengeschichtliche Diplomarbeit, die unseren Jubiläumsartikeln im Wesentlichen zugrunde liegt, zeichnet im Kapitel «Der Katholizismus in der Schweiz» ein aufschlussreiches Bild: Infolge des Wandels hin zu einer bürgerlich-industriellen Gesellschaft und damit verbundenen fundamentalen Veränderungen in Struktur und Funktion «des Christentums», heisst es da, habe die katholische Teiltradition im 19. Jahrhundert eine eigene Sozialform entwickelt. Dieser «moderne Katholizismus» zeichnete sich vor allem aus durch eine «möglichst umfassende Einbindung» der Katholikinnen und Katholiken in eine ab- und ausgrenzende konfessionelle Gruppe. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war dieses «katholische Milieu» voll auf- und ausgebaut: Es gab nicht nur katholische Turn-, Musik-, Jugend- und Frauenvereine, sondern auch konfessionelle Schulen, Seminare und andere Ausbildungsstätten, zudem die katholische Presse, eine katholische Krankenkasse, die Katholisch-Konservative Partei und erstmals auch Katholikentage in der Schweiz.

Das erste Komitee des Vereins Schweizerischer Jerusalempilger: Pfarrhelfer Albert Karli, Dr. med. Emil Pestalozzi-Pfyffer und Pfarrer Niklaus Bättig.

Für 20 Franken immerwährend dabei

In dieser Zeit der katholischen Sondergesellschaft entstand auch der «Verein Schweizerischer Jerusalempilger» (VSJP): Am 28. August 1900 trafen sich die fünf Vereinsgründer erstmals in Baden am Rand eines nationalen Festes des katholischen (!) Schweizerischen Studentenvereins (StV). Nach der feierlichen VSJP--Gründung am 28. Oktober 1901 in Zürich schrieben sich innert fünf Jahren 1055 Personen in die Mitgliederliste ein, nur ein Jahr später waren es bereits 2000 Mitglieder. Es gab drei Arten der Mitgliedschaft: die ehemaligen Jerusalempilgerinnen und -pilger waren «ordentliche Mitglieder», «ausserordentliche Mitglieder» waren noch nicht ins Heilige Land gepilgert, schliesslich konnten auch «Ehrenmitglieder» ernannt und vom bescheidenen Jahresbeitrag von einem Franken befreit werden. Mit einem einmaligen Beitrag von 20 Franken konnte die «Immerwährende Mitgliedschaft» erworben werden.

Die erste schweizerische Heiliglandfahrt 1903; hier beim Einsteigen in Feldkirch.
Die erste schweizerische Heiliglandfahrt 1903; hier beim Einsteigen in Feldkirch.

Ablässe und Bibelausstellungen

In vielen Dörfern und Quartieren waren so genannte «Vertrauenspersonen» im Einsatz, die von Tür zu Tür den Mitgliederbeitrag einzogen und das Vereins-organ «Pilgerbrief» verteilten. Vor allem die persönliche Mund-zu--Mund-Wer-bung innerhalb des katholischen «Mi-lieus» liess den Verein innert 25 Jahren auf sagenhafte 8000 Mitglieder anwachsen. Aus katholischer Perspektive ein bewegtes Vierteljahrhundert: Während 1908 Papst Pius X. in einem Schreiben dem VSJP eine bedeutende Anzahl heiliger Ablässe – etwa für jedes Vereins-mit-glied «in der Todesstunde» – gewährte, wurde im Zuge des katholischen «Kultur-Frühlings» im Jahr 1938 das katholische Bibelwerk ins Leben gerufen. Fortan gab es Bibelkurse, Bibel-aus-stel-lungen, Bibelgruppen und Bibelkalender – diese «Bibelinitiative» der Bischöfe strahlte auf die Seelsorge und Gläubige aus.

Auch das bis anhin hermetisch abgeschlossene katholische Milieu erlebte in jenen Jahren erste Öffnungen. So entstanden auch wieder Kontakte zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen konservativen und liberalen Bürgerinnen. Während der Jahre des Zweiten Weltkriegs sanken die Mitgliederzahlen auf unter 6000, stiegen nochmals etwas an und nahmen dann kontinuierlich ab, bis der Schweizerische Heiligland--Verein 2001 zum 100-Jahr-Jubiläum «nur» noch 2100 Mitglieder zählte.

Heute ist der Mitgliederbeitrag auf 60 Franken gestiegen, die «immerwährende Mitgliedschaft» längst nicht mehr möglich. Aus dem typischen konfessionellen Mitgliederverein ist eine moderne Spenderorganisation mit 531 Einzel- und Kollektivmitgliedern (Pfarreien) geworden, ein kleines, engagiertes Hilfswerk – ein katholisches notabene!

Boris Schlüssel

Quelle: Judith von Ah hat einen kirchen­geschicht­lichen Rückblick auf die 100-jährige Tätigkeit des Schweize­rischen Heiligland-­Vereins verfasst und diesen im Jahr 2000 als Diplomarbeit bei Professor Dr. Markus Ries an der Theologischen Fakultät in Luzern eingereicht. Dieser Bericht stützt sich auf ihre Recherchen.

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